Teil 4: Stuhlinkontinenz nach Geburt. Experteninterview mit dem Proktologen Prof. Max Wunderlich.

Prof. Wunderlich spricht über die konservative Therapie der Stuhlinkontinenz, erklärt wann eine Operation notwendig ist, welche Operationsverfahren es gibt und welche weiteren Hilfsmittel und Verfahren es gibt.

RH: Wann muss so ein Schließmuskeldefekt operiert werden?

Prof. Wunderlich: Wenn die konservative Therapie versagt. Die konservative Therapie hat drei Pfeiler.

Nummer eins ist das Beckenbodentraining.

Nummer zwei das Eindicken des Stuhls. Weil einen geformten Stuhl wird man eher nicht verlieren. Das geht dann diätetisch. Ein paar Tricks sind Reis, geschabter Apfel, wenn er braun geworden ist. Und es gibt Medikamente, z.B. Loperamid zum Stuhleindicken.

Nummer drei ist die regelmäßige Entleerung des Darmes. Denn aus einem leeren Darm kann man nichts verlieren. Das heißt jeden Tag 1-2milde laxierende Suppositorien einführen. Dann ist der Darm leer und man kann außer Haus gehen.

Wenn diese konservative Therapie greift und der Wexner Score sich bessert, z.B. von 12 auf 5, also die Patientin nahezu kontinent ist, sollte man auf die Operation verzichten. Weil man nie weiß, ob sie auch glückt. Wenn eine Sphinkterrekonstruktion zum Beispiel ganz aufgeht (was Gott sei Dank sehr selten vorkommt), dann ist die Patientin unter Umständen schlechter dran als vorher.

An operativen Möglichkeiten gibt’s gegenwärtig zwei:

Die Schließmuskelrekonstruktion (Sphincter Repair), also die überlappende Naht der Schließmuskelbündel von einem Schnitt am Damm aus, kann nach 5 bis 10 Jahren wieder eine Schwachstelle werden.

Große Hoffnung setzt man zur Zeit in die Sakrale Neuromodulation(SNM). Dieser Eingriff ist technisch einfacher als die Rekonstruktion, und selbst bei fehlendem Effekt des Systems wird die Kontinenz durch den Eingriff keinesfalls schlechter. Durch die Nervenstimulation kontrahiert der ganze Beckenboden. Da die SNM mit einem kleinen, unter der Haut verpflanzten, Schrittmacher verbunden ist, ziehen jüngere Frauen die Schließmuskelrekonstruktion meist vor. Man kann die beiden Eingriffe insofern kombinieren, als die SNM eingesetzt wird, wenn der Sphincter Repair schwach wird.

RH: Sie haben vorhin die Sphinkter Manometrie als Untersuchung erwähnt. Können Sie ein Beispiel geben, wann die notwendig ist?

Prof. Wunderlich: Die Sphinkter Manometrie ist sehr sinnvoll bei Menschen, die einer analen Operation wegen eines harmlosen gutartigen Leidens (Paradebeispiel: Hämorrhoiden) unterzogen werden sollen, bei denen man aber als Chirurg den Verdacht auf eine vorbestehende Schließmuskelschwäche oder einen Defekt hat. Wenn eine Frau zum Beispiel vor vielen Jahren Kinder geboren hat, sie aber trotz eines (oft unerkannten) Sphinkterdefekts kontinent ist, kann es sein, dass nach der Hämorrhoidenoperation die Kontinenz massiv beeinträchtigt oder zumindest getrübt wird. Wenn da ein Defekt ist und die Manometrie zeigt, dass der Sphinkter schwach ist, sie aber klinisch kontinent ist, dann sollte man als Chirurg Abstand von großen Hämorrhoidenoperationen nehmen.

RH: Wie funktioniert so eine Manometrie?

Prof. Wunderlich: Der Patient liegt in Linksseitenlage und man führt eine Sonde zum Druckmessen in den Mastdarm ein. Dann zieht man die dünne Sonde schrittweise jede Minute ein Stück zurück und die Druckschwankung wird gemessen. Wenn der Analkanal fester wird, dann steigt der Druck. Diese Kurven werden dann vom Computer ausgewertet. Mann misst damit den Ruhedruck und den Kontraktionsdruck. So lassen sich die Funktion des inneren und des äußeren Schließmuskels beurteilen.

RH: Gibt es neben Beckenbodentraining, Stuhleindickung, regelmäßiger Entleerung und den genannten Operationen noch weitere Hilfsmittel oder Verfahren?

Prof. Wunderlich: Es gibt dann noch Analtampons, das wollen die Leute aber selten, weil das ein Fremdkörpergefühl macht. Es gibt die Transanale Irrigation. Die TAI. Mit der hält man den Darm mittels eines Einlaufsystems stuhlfrei. Die aller letzte Lösung, welche extrem selten gewählt wird, ist das Stoma, d.h. der künstliche Darmausgang an der Bauchdecke, welchen die Betroffenen verständlicherweise fast nie haben wollen.

GLOSSAR

Anamnese: Befragung des Patienten zur Krankengeschichte

Anorektum: Mastdarm und Analkanal
Beckenbodenneuropathie: Schädigung der Nerven, welche den Beckenboden versorgen
Deszensus perinei: Senkung der Dammregion
Endoanale Sonographie:Ultraschalluntersuchung des Afters
Innervationsstörung: Störung der Nervenfunktion
KSB: Kontinenz- und Stomaberaterin
Nervus Pudendus: Nerv, welcher für die Steuerung der Beckenboden-muskulatur zuständig ist
Perinealbereich: Dammbereich
Proktologe: Facharzt, meist Chirurg, der auf das Anorektum spezialisiert ist
Rektumwand: Wand des Mastdarms
Sphinkterapparat:Schließmuskelapparat
Sphinkterrekonstruktion: operative Wiederherstellung des Schließmuskels
Septum rektovaginale: dünne bindegewebige Trennwand zwischen der Scheide und dem Mastdarm
Sphinkter: Schließmuskel
Subkutan: unter der Haut

Prof. Max Wunderlich begann seine medizinische Laufbahn mit einer mehrjährigen Ausbildung im Geburtshilfe und Frauenheilkunde, bevor er sich für das Fach Allgemeinchirurgie entschied. Einer der wesentlichen Schwerpunkte seiner Arbeit an der Ersten Chirurgischen Universitätsklinik in Wien war die Chirurgie des Dickdarms. Besonders vertraut wurde er mit dem Kontinenzorgan Anorektum und der Funktion der Schließmuskulatur während eines einjährigenForschungsaufenthalts am diesbezüglich weltweit führenden St. Mark’s Hospital in London. Die Verbindung der Kenntnisse aus der Frauenheilkunde und der Spezialisierung auf den Beckenboden aus chirurgischer Sicht ermöglichte ihm eine bis heute anhaltende Tätigkeit in der Diagnostik und Behandlung der Erkrankungen des Enddarms, vor allem der Inkontinenz. Im Laufe von mehr als 20 Jahren hat Prof. Wunderlich in den von ihm geleiteten Abteilungen den Schwerpunkt der Proktologie und Enddarmchirurgie etabliert. Als einer der zuständigen Ärzte für Funktionsstörungen des Beckenbodens im Vorstand der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) arbeitet er eng zusammen mit den analog spezialisierten Vertreterinnen und Vertretern der Physiotherapie und des Pflegedienstes.

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