Experteninterview Teil 2: Organsenkung: Untersuchung, Schweregrade, Therapie

Teil 2: Der Gynäkologe Prim. Lothar Fuith über Untersuchung, den Zusammenhang mit Harninkontinenz, Schweregrade und konservative Therapie bei Organsenkung

RH: Was untersucht der Arzt bei einer Senkung?

Prim. Fuith: Erkennen kann man es eigentlich nur im Rahmen der gynäkologischen Untersuchung, wir sagen dazu Spekulauntersuchung. Das sind diese zwei Metallteile, mit denen der Gynäkologe die Scheidenwände anhebt, oder weg schiebt. Der Arzt prüft das einerseits in Ruhe und dann wird er die Frau möglicherweise auffordern zu pressen, dann wölbt sich die vordere und oder die hintere Scheidenwand vor wie ein Ballon, wenn eine Senkung besteht. Viele Frauen sagen: „Ich spüre da einen Tennisball.“ Es gibt auch Fälle, wo man die Patientin bitten muss aufzustehen, und erst durch das Einwirken der Schwerkraft wird dann der Scheiden/Gebärmuttervorfall (Prolaps) sichtbar, eventuell lässt der Arzt die Frau auch im Stehen pressen.

RH: Gibt es eine Einteilung in Schweregrade?

Prim. Fuith: Eine sehr genaue Möglichkeit der Beschreibung ist das so genannte Pop-Q Schema. Das braucht man aber hauptsächlich zur Durchführung von Studien etc. In der Praxis teilen wir die Senkung in drei Grade ein. Wir sprechen von „geringem“, „mittelgradigem“ und „hochgradigem“ Deszensus, wenn der Muttermund über den Hymenalsaum drüber reicht.

RH: Bedeutet Senkung gleichzeitig Inkontinenz?

Prim. Fuith: Nein! Kann sein, muss aber nicht sein. Es kann sogar so sein, dass die Senkung einem eine Kontinenz vortäuscht, die nach einer Senkungsoperation nicht mehr besteht. Darum prüfen wir das vorher. Da checken wir vor der OP wie der Urethraverschlussdruck (Harnröhrenverschlussdruck) ist und wie es ausschaut, wenn die Scheidenwand reponiert, also hinauf geschoben wird. Wenn dann der Harn geradeaus durchgeht, dann muss man der Frau gleich sagen, dass nicht nur die Senkung korrigiert werden muss, sondern auch noch ein Band eingesetzt wird. Ich vertrete die Linie, dass ich das lieber zweizeitig mache. Denn vielleicht kann man sich das Band dann doch ersparen indem man eine kleine Zystozele (Blasensenkung) bei der Scheidenkorrektur übrig lässt. Das ist sehr gefährlich, weil da sagt dann der niedergelassenen Kollege: „Na, da hat man Ihnen jetzt aber nicht alles gemacht.“ Egal, die Frau muss nach der Operation kontinent sein, wenn möglich ohne Zusatzoperation (Band)! Heute operieren wir in Abhängigkeit von den Beschwerden und der Funktion. Nach der Operation wollen wir wissen, ob der Harnstrahl wieder normal und die Patientin kontinent ist.

RH: Können Frauen irgendwie vorbeugen gegen eine Senkung?

Prim. Fuith: Ja sicher! Das wissen Sie, das ist Ihr Fach. Das Beckenbodentraining hat einen hohen Stellenwert. Leider ist der in Österreich nicht so groß, wie wir Ärzte ihn uns wünschen würden. In der Schweiz ist es häufig so, dass die Frauen gar nicht operiert werden, wenn sie nicht vorher ein Beckenbodentraining gemacht haben. In Österreich wird sofort operiert, ohne dass ein Training Pflicht ist. Die Gründe sind vielfältig. Erstens müssen Frauen das Beckenbodentraining vielfach selbst bezahlen und langwierig ist es auch. Aber wie Studien zeigen und beweisen hat das Beckenbodentraining gewaltige positive Effekte mit null Nebenwirkungen.

RH: Gibt es sonst noch mögliche konservative Therapiemaßnahmen?

Prim. Fuith: Ja. Die Pessare. Das ist eine Frage des persönlichen Zugangs. Ein Problem können die lokalen Infektionen und das Fremdkörpergefühl sein. Pessare müssen auch regelmäßig gewechselt beziehungsweise ein-und ausgeführt werden. Das wollen viele Frauen nicht! Aber in der Gynäkologie haben die Pessare ihren Stellenwert. Ich persönlich habe eine große Präferenz für die Physiotherapie. Bei multimorbiden Patientinnen werden Pessare oft eingesetzt. Denkbar sind sie auch bei jüngeren Patientinnen in Kombination mit Physiotherapie. Allerdings stellt sich hier das Problem der Betreuung. Nicht jeder Gynäkologe passt Pessare an und macht die regelmäßigen Kontrollen.

RH: Glauben Sie, dass Frauen sich durch Beckenbodentraining eine Operation dauerhaft ersparen können?

Prim. Fuith: Ja, das glaube ich absolut! Und das sage ich jetzt nicht nur, weil ich mit Ihnen spreche. Aber der Meinung bin ich sehr wohl. Es gibt viele Hinweise dazu, dass sich sehr viele Frauen die Operation erspart haben. Natürlich hat eine Operation noch bessere und schnellere Erfolgsraten. Aber das Beckenbodentraining hat null Nebenwirkungen und Komplikationsraten. Das hilft vielen Frauen sich die Operation durch Physiotherapie zu ersparen.

Univ. Prof. Dr. Lothar Clemens Fuith
Primarius am Krankenhaus d. Barmherzigen Brüder
Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe
Vorstand der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Eisenstadt
 Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (ÖGGG).

 Präsident der Medizinischen Kontinenzgesellschaft (MKÖ)

Ausbildung:
Medizinstudium Univ. Innsbruck; Promotion 1979

Postgraduelle Tätigkeit:

1979 bis 1982 Universitätsassistent am Institut für Medizinische Chemie und Biochemie an der Universität Innsbruck. (Prof. H. Grunicke und Prof. H. Wachter)

1981 Forschungsaufenthalt am Weizmann Institute of Science in Israel. (Prof. Gad Yagil)

Ab 1982 Assistenzarzt und Oberarzt an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde Innsbruck. (Prof. O. Dapunt)

Akademischer Werdegang:
1991 Habilitation zum Universitätsdozenten mit dem Thema:
„Neue Aspekte in der Therapie des Ovarialkarzinoms“.
Ernennung zum a.o. Universitätsprofessor 1998.
Kontakt:
Krankenhaus der Barmherzigen Brüder:
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