Stoma Rückoperation: Experteninterview Teil 2

Prof. Dr. Max Wunderlich, Facharzt für Chirurgie, über Bedingungen und Risiken der Rückoperation eines künstlichen Darmausgangs. Teil 2

Prof Wunderlich über Stoma Rückoperation

Stoma Rückoperation – Risiko Vorderes Resektionssyndrom

Vorderes Resektions-Syndrom

Nach der Stoma Rückoperation  mittels vorderer Resektion mit primärer (d.h. im selben Eingriff angelegter) Anastomose oder nach intestinaler Rekonstruktion entwickelt sich häufig folgende Situation: Das Rektum ist verkürzt oder fehlt zur Gänze (d.h. es ist durch den nach unten gezogenen engeren Dickdarm ersetzt). Und das heißt, dass das Reservoir für den Stuhl reduziert ist. Hieraus resultiert nicht selten das „Vordere Resektions-Syndrom“ (dafür in der Literatur gebräuchlich ist der englische Begriff des LARS = Low Anterior Resection Syndrome“ – Abb. 6)

© Wunderlich

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1.) reduziertes Reservoir, d.h. weniger Fassungsvermögen. Dies bedingt häufigere Entleerungen und kann mit Inkontinenz vergesellschaftet sein.

2.) Ferner fehlt die physiologische Retropulsionsbewegung der letzten Darmabschnitte (Rektum und Sigma):Normalerweise wird dünner Stuhl, der ins Rektum kommt, zurücktransportiert, eingedickt und kommt dann wieder besser geformt und solider ins Rektum. Ohne Retropulsion bleibt der Stuhl dünner und ist dann, wie Durchfall, ebenfalls schwerer zurückzuhalten bzw. kann verloren werden.

3.) Gestörte Funktion des Sphinkters (= Schließmuskel):Je tiefer eine Anastomose sitzt, desto näher ist sie am Analkanal und umso eher kann auch die natürliche Spannung des inneren Schließmuskelsbeeinträchtigt sein. Kommt dann noch eine vorbestehende Schwäche des willkürlichen äußeren Schließmuskels hinzu, dann ist der gesamte Schließmuskelapparat dem Stuhl von breiiger bis flüssiger Beschaffenheit nicht gewachsen, der durch ein verkleinertes Rektum ankommt.

Stuhlinkontinenz als Folge

Verständlicherweise ergeben sich aus all diesen Faktoren beim vorderen Resektionssyndrom eine fäkale Inkontinenz (= Unvermögen, den Stuhl zu halten) und häufige Stuhlgänge (= Defäkationen), (schlimmstenfalls 20-40 Mal täglich dünner Stuhl). Die von diesem Missgeschick betroffenen Menschen bleiben zu Hause, damit sie ständig in der Nähe ihrer Toilette sind. Sie verlieren Stuhl und haben Ekzeme in der Analregion. Es liegt auf der Hand, dass ein zu kleines Reservoir und häufige Entleerungen auch mit einem permanenten Stuhldrang einhergehen. Diesen nennt man in Anlehnung an den englischen Sprachgebrauch „Urgency“, wobei dieser Drang manchmal sehr quälend sein kann.

Nervenschädigung möglich

Nun ist es leider so, dass die beschriebenen Probleme des LARS nicht die einzigen sind, die sich nach intestinaler Rekonstruktion ergeben. Im Zuge der Wiedervereinigung des Dickdarms mit dem ursprünglich blind verschlossenen Mastdarm ist der Chirurg oft gezwungen, sehr tief im kleinen Becken zu operieren. Dabei können selbst bei bester operativer Technik die dort verlaufenden Nerven geschädigt werden, oft ohne dass man dies während des Eingriffs bemerkt. Das Geflecht dieser zarten Nerven versorgt nicht nur die Harnblase, sondern auch die Geschlechtsorgane. Die Verletzung dieser Nerven führt – häufiger als geahnt – zu Störungen der Blasenfunktion und der Sexualität, zum Beispiel Erektionsstörungen bei männlichen Patienten.

Scheitern der Stoma Rückoperation

Hinzu kommt, dass während einer intestinalen Rekonstruktion, zum Beispiel aufgrund von massiven Verwachsungen im kleinen Becken, das Ziel der Verbindung des Dickdarms mit dem Mastdarm nicht erreicht wird und die Operation fallweise unter Belassung des endständigen Stomas beendet werden muss.

RH: Was sind denn nun die Bedingungen für eine erfolgreiche Stoma Rückoperation?

Prof. Wunderlich: Wenn man unter Rückoperation den einfachen Verschluss einer doppelläufigen Colo- oder Ileostomie versteht, dann steht diesem Eingriff nichts im Wege, sofern die ursprünglich angelegte Anastomose zwischen Dickdarm und Mastdarm gut geheilt und der Mastdarmanteil groß genug ist. Diese Operation betrifft meist nur die Region nahe der Bauchdecke, nicht aber das kleine Becken.

Eine sehr gute Voraussetzung für die weit anspruchsvollere intestinale Rekonstruktion ist ein langer Rektumstumpf. Denn dieser erfordert keine aufwändige Chirurgie in der Tiefe des kleinen Beckens und garantiert nach der Rekonstruktion ein halbwegs geräumiges Reservoir des Enddarms. Eine Verletzung der für Blase und Potenz zuständigen Nerven kommt dann seltener vor, der Schließmuskel ist in seiner Funktion chirurgisch kaum jemals beeinträchtigt.

RH: Lässt sich die zukünftige Kontinenz vor Colostomieverschluss oder intestinaler Rekonstruktion irgendwie abschätzen?

Prof. Wunderlich: Eine 100% sichere Vorhersage nach Stoma Rückoperation ist nie möglich. Doch man kann die Kraft des Schließmuskels mit einer Sphinktermanometrie (schmerzlose Druckmessung im Analkanal) objektiv bestimmen. Praxisnäher ist ein sogenannter Retentiostest: Dabei wird ein blau gefärbter Grießbrei (als „Stuhläquivalent“) in den Mastdarm eingebracht. Mit diesem lässt man die Patienten etwa 10 Minuten herumgehen. Finden sich danach keine Abgänge von Grießbrei in der Einlage, ist eine akzeptable Kontinenz zu erwarten, jedoch nicht garantiert.

RH: Wie kann man angesichts all dieser Unabwägbarkeiten Patienten in der Planung einer Stoma Rückoperation beraten?

Prof. Wunderlich: Diese Frage trifft den wesentlichen Punkt. Denn kaum eine Operation bedarf einer so gründlichen Beratung wie diese. Es ist natürlich absolut verständlich, dass Menschen, die mit dem Schicksal eines Stomas leben, von diesem befreit sein möchten, koste es was es wolle.

Nichtsdestoweniger ist es Pflicht des Chirurgen, auf mögliche Imponderabilien nach der Rückoperation hinzuweisen, wie LARS, Impotenz, Blasenentleerungsstörungen und gelegentlich ein fortbestehendes doppelläufiges Stoma, wenn die Naht der Rekonstruktion undicht wird.

Das doppelläufige Colostoma birgt überdies das Risiko des Prolaps, also des allmählichen Vorfalls der herausgeleiteten Darmschlinge.

Diese Information muss ergänzt werden durch zwei Fragen:

1) Wie sind Sie mit ihrem gegenwärtigen Stoma zufrieden?

2) Wie steht es um Ihr gegenwärtiges Sexualleben?

Geht aus den Antworten hervor, dass der Patient bzw. die Patientin das jeweilige Stoma gut versorgen kann, und dass die Sexualität ungetrübt ist, so müssen die Betroffenen abwägen, ob sie sich dem Risiko von Fehlschlägen und Komplikationen nach Rückoperation aussetzen möchten, oder ob sie es vorziehen, die aktuelle Lebensqualität (mit Stoma) beizubehalten.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Keinesfalls soll Patienten die Rückoperation von vorneherein „ausgeredet“ werden. Doch es ist nur fair, von ärztlicher Seite eine möglichst umfassende Information zu geben, damit Patienten ihre Entscheidung treffen können.

Oft ist dabei der Rat hilfreich, eine zweite chirurgische Meinung einzuholen. Erfahrungsgemäß entschließen sich die meisten Menschen für die Rückoperation – ein Wunsch, der zu respektieren ist.

RH: Brauchen diese Patienten ein Sphinktertraining?

Prof. Wunderlich: Ja! Und zwar selbst wenn sie beim Retentionstest nichts verlieren. Unbedingt! Das ist genauso wie mit dem Beckenbodentraining vor einer Prostataoperation. Denn, wie von Seiten der Physiotherapie immer betont wird, ist es leichter, etwas unter „normalen“ anatomischen Verhältnissen zu erlernen, d.h. den Schließmuskel durch Übungen schon im Vorfeld einer Rückoperation zu kräftigen.

RH: Wann ist nun der richtige Zeitpunkt, mit einem solchen Beckenbodentraining zu beginnen?

Prof. Wunderlich: Nach all den geschilderten Operationen im Enddarmbereich (sei es wegen Tumor oder Entzündung), welche naturgemäß die Organe und Strukturen des kleinen Beckens betreffen, muss dem Gewebe der Region eine gewisse Zeit gegeben werden, um sich zu „erholen“ und zu verfestigen. Bei ungestörtem Heilungsverlauf in Nähe des Beckenbodens bildet sich zunächst ein sogenanntes Granulationsgewebe. Dies ist ein Bindegewebe, reich an Gefäßen, welches sich im Laufe der nächsten Wochen zu einem zarteren Gewebe zwischen den Organen verändert. Dies bedeutet, dass ein Beckenboden- oder Schließmuskeltraining nach etwa 6 Wochen einsetzen kann. Eine intestinale Rekonstruktion sollte daher erst nach 6 Monaten durchgeführt werden, wenn sich in der Regel nur mehr zarte Verwachsungen finden. Somit bleibt für eine konsequente Physiotherapie eine Zeit von 3 bis 4 Monaten vor der Rückoperation. Es wäre ideal, könnte die entsprechende Physiotherapie auch während eines Rehabilitationsaufenthaltes angeboten bzw. fortgesetzt werden.

RH: Danke für das Gespräch!

Glossar

Anastomose: neue, künstliche, genähte oder geklammerte Verbindung zwischen zwei Darmstücken

Colostoma: ein Künstlicher Darmausgang aus dem Dickdarm

Defäkationen: Darmentleerungen

Dehiszenz oder „leak“: das Aufgehen oder Auseinanderweichen zweier zusammengehöriger Gewebestrukturen.

Divertikel: gutartige Ausstülpungen im Darm

fäkale Inkontinenz: Unvermögen, den Stuhl zu halten

Ileostoma: ein künstlicher Darmausgang aus dem Dünndarm

Inkontinenz: die Unfähigkeit den Austritt von Stuhl oder Harn zu verhindern

Karzinom: bösartiger Tumor

Peritonitis: Bauchfellentzündung

perianale Ekzeme: Hauterkrankung rund um den Darmausgang

Rektum: Enddarm

Rektumstumpf: verbleibender Teil des Enddarms

Resektion: Entfernung

Sphinkter:  Schließmuskel

intestinale Rekonstruktion: Operationstechnik bei der ein mit einer eigenen Operation der Darm wieder mit dem Enddarm verbunden wird

Vordere Rektumresektion: Operationsmethode bei der Teile des Mastdarmsoder der ganze entfernt werden; Schließmuskel und Beckenboden bleiben erhalten

Prof. Max Wunderlich begann seine medizinische Laufbahn mit einer mehrjährigen Ausbildung im Geburtshilfe und Frauenheilkunde, bevor er sich für das Fach Allgemeinchirurgie entschied. Einer der wesentlichen Schwerpunkte seiner Arbeit an der Ersten Chirurgischen Universitätsklinik in Wien war die Chirurgie des Dickdarms. Besonders vertraut wurde er mit dem Kontinenzorgan Anorektum und der Funktion der Schließmuskulatur während eines einjährigen Forschungsaufenthalts am diesbezüglich weltweit führenden St. Mark’s Hospital in London. Die Verbindung der Kenntnisse aus der Frauenheilkunde und der Spezialisierung auf den Beckenboden aus chirurgischer Sicht ermöglichte ihm eine bis heute anhaltende Tätigkeit in der Diagnostik und Behandlung der Erkrankungen des Enddarms, vor allem der Inkontinenz. Im Laufe von mehr als 20 Jahren hat Prof. Wunderlich in den von ihm geleiteten Abteilungen den Schwerpunkt der Proktologie und Enddarmchirurgie etabliert. Als einer der zuständigen Ärzte für Funktionsstörungen des Beckenbodens im Vorstand der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) arbeitet er eng zusammen mit den analog spezialisierten Vertreterinnen und Vertretern der Physiotherapie und des Pflegedienstes.

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