Teil 2: Experteninterview Harninkontinenz nach Schwangerschaft und Geburt

Teil 2: Prim. Fuith über Risikofaktoren, Vorbeugung und Therapiemöglichkeiten bei Harninkontinenz nach Schwangerschaft und Geburt Aus Studien wissen wir, dass viele Frauen schon in der Schwangerschaft an Harninkontinenz leiden. Bei vielen bleibt sie auch nach der Geburt bestehen. Über Zahlen, Risikofaktoren und Therapieoptionen habe ich mich mit dem Gynäkologen Prim. Lothar Fuith unterhalten.

RH: Gibt es Risikofaktoren eine Harninkontinenz nach Schwangerschaft zu bekommen?

Prim. Fuith: Ja! Das ist der „traumatische Geburtsverlauf“ also die Zangengeburt oder eine schwere Vakuumextraktion. Und die protrahierte Austreibungsperiode zählt ebenfalls zu den Risikofaktoren. Das sind die Fakten. Klar, dann noch die Adipositas und das Alter der Mutter, Inkontinenz schon in der Schwangerschaft, höhergradige Dammrisse. Vor allem auch in Richtung der Stuhlinkontinenz sind höhergradige Dammrisse ein Problem. Also da gibt es Risikofaktoren. Die Frage ist, wie sind die zu vermeiden? In den letzten Jahren war immer der Hauptfokus die Gesundheit des Kindes! Natürlich. Aber die Gesundheit der Mutter gehört auch dazu. Die kommt ja gar nicht oft vor in geburtshilflichen Vorträgen. Der traumatische Geburtsverlauf ist ja nur Thema, wenn mit dem Kind was ist. Aber dass der dann auch ein Fakt für die Mutter ist, wird nicht häufig thematisiert, vielleicht auch nicht gerne. Also unter traumatischem Geburtsverlauf versteht man Vakuumextraktion oder Forceps.

Und es ist offenbar besser, da gibt es mehrere Publikationen dazu, einen protrahierten Geburtsverlauf mit einer Vakuumextraktion zu verkürzen, als das bis zum letzten Exzess durchzustehen. Und ich sag es nochmal. Da müssen wir auch die Hebammen ins Boot holen, das muss ich jetzt leider kritisch sagen. Ich bin kein Kaiserschnitt-beführworter, aber man muss schon eines sagen: Nur zu sagen, wir schaffen das noch und jetzt hängen wir noch eine Stunde bei der Austreibungsperiode dran. Wir wissen was am Beckenboden passiert. Der Beckenboden, das sind Muskel, die bekommen durch den langen Druck des kindlichen Kopfes Schäden. Ich mach mir da Sorgen! Und als Arzt muss ich mich nach den Fakten richten, die wir aus Studien kennen. Der Arzt muss sich sowohl für das Wohl des Kindes, aber auch um jenes der Mutter sorgen.

Die unbefriedigendste Kombination für eine Frau, aus meiner Sicht ist, eine „halbe vaginale Geburt“ und „eine ganze Sectio“. Mit diesen Frauen machen wir an unserer Abteilung in jedem Fall ein Aufarbeitungsgespräch, weil hier viele offene Fragen sind. Was auch zu Unzufriedenheit im Ärztepersonal führt. Weil da sagen mir dann meine Assistentinnen und die Hebamme: „Wir haben uns bemüht, aber das ist dann eben nicht gegangen, weil das Kind hat nicht mit gemacht, und dann hat die Frau doch noch die Sectio gebraucht.“ Da besprechen wir den Verlauf noch mal. Und dann erklären wir, dass die Frau sich sehr, sehr geplagt hat, das Kind aber trotzdem noch nicht weit genug unten war, um mit der Saugglocke zu helfen und dass es noch 2-3 Stunden gedauert hätte und wir dieses Risiko für das Kind und den mütterlichen Beckenboden nicht eingehen konnten. Das verstehen die Frauen dann. Der Großteil zumindest. Manche fragen, warum wir das nicht früher gewusst haben. Aber das ist die Ausnahme. Die meisten verstehen es dann.

Aber bezüglich der Inkontinenz habe ich vorhin noch vergessen zu sagen. Es ist ja so, dass Frauen, die einen Kaiserschnitt haben, auch inkontinent werden können. Die Quote ist folgendermaßen: Nullipara (Frauen, die kein Kind geboren haben) haben mit 65 am wenigsten Inkontinenz. Frauen, die eine Sectio (Kaiserschnitt) hatten, die haben schon ein bisschen mehr. Und die mit einer oder mehr Geburten haben noch mehr Inkontinenz. Im höheren Alter verwischen sich die Zahlen immer mehr. Das kann man ganz emotionslos sagen. Im Alter kommt vieles andere noch dazu.

RH: Kann man vorbeugend etwas gegen Harninkontinenz nach Schwangerschaft tun?

Prim. Fuith: Ja! Ich sag es nochmal. Wenn Beckenbodentraining therapeutisch einen Sinn hat, dann gehen wir davon aus, dass es auch prophylaktisch einen Sinn hat. Da gibt es ja auch Daten, also Studien dazu, die das belegen.

RH: Wenn eine Frau nun betroffen ist, an wen kann sie sich wenden? Wer ist die erste Anlaufstelle?

Prim. Fuith: Da wird es schon schwierig! Ich sag jetzt mal so, ich fürchte dass die niedergelassenen Gynäkologen das Thema gar nicht ansprechen, oder ansprechen wollen. Das ist ein großes Problem. Grundsätzlich wäre, wenn man nicht schon vorher im Geburtsvorbereitungskurs informiert wird, dass man vor der Geburt und nach der Schwangerschaft das machen soll, das Beckenbodentraining, wäre natürlich der niedergelassene Arzt oder die Ärztin, schon eine Ansprechstelle, aber ich habe auch kein Problem, wenn sich die Frauen direkt an Sie wenden. Was ja auch häufig passieren wird. Aber da sind wir wieder bei einem anderen Thema, es gibt Studien, dass ja nicht einmal die Hälfte der Patientinnen, die Harninkontinenz haben, das dem Hausarzt offenbaren. Also bis eine Frau das raus rückt, vergehen Jahre.

RH: Wir gehen davon aus, die Frau hat den Weg zur Therapie gefunden. So, und jetzt wird sie allen Erwartungen zum Trotz nicht wieder kontinent? Ab wann muss da genau geschaut werden und was wird dann geschaut?

Prim. Fuith: Da muss man dann eine so genannte Urodynamik machen. Damit kann man genau schauen, wo ist das Problem. Sie muss jetzt nicht den wahnsinnigen Deszensus haben, ein schwacher Verschlussdruck, eine hypotone Urethra, oder es kann mit Nervenverletzungen zu tun haben. Wenn die Therapie mit Beckenbodentraining, welches konsequent über Monate durchgeführt wurde, nicht anschlägt, dann ist für die Frau ein von der MKÖ zertifiziertes Beckenbodenzentrum zuständig. Da gibt es in Wien eines. Und was die nicht selber wissen, werden sie sich die Expertise dazu holen. Zum Beispiel wenn Urologe oder Gynäkologe eine Nervenverletzung vermuten, werden sie einen Neurourologen beiziehen. Weil das ist ja der Sinn eines Beckenbodenzentrums.

RH: Vielen Dank für das Gespräch!

Prim. Fuith: Vielen Dank!

Univ. Prof. Dr. Lothar Clemens Fuith

Primarius am Krankenhaus d. Barmherzigen Brüder

Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe

Vorstand der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Eisenstadt

 Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (ÖGGG).

 Präsident der Medizinischen Kontinenzgesellschaft (MKÖ)

Ausbildung:

Medizinstudium Univ. Innsbruck; Promotion 1979

Postgraduelle Tätigkeit:

1979 bis 1982 Universitätsassistent am Institut für Medizinische Chemie und Biochemie an der Universität Innsbruck. (Prof. H. Grunicke und Prof. H. Wachter)

1981 Forschungsaufenthalt am Weizmann Institute of Science in Israel. (Prof. Gad Yagil)

Ab 1982 Assistenzarzt und Oberarzt an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde Innsbruck. (Prof. O. Dapunt)

Akademischer Werdegang:

1991 Habilitation zum Universitätsdozenten mit dem Thema:

„Neue Aspekte in der Therapie des Ovarialkarzinoms“.

Ernennung zum a.o. Universitätsprofessor 1998.

Kontakt:

Krankenhaus der Barmherzigen Brüder:
Johannes von Gott-Platz
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02682/601-3500
Lothar.Fuith@bbeisen.at
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